Innovation made in China

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Wenn es um Innovationen geht, gibt die chinesische Wirtschaft kein einheitliches Bild ab. Dazu sind die Branchen und Strukturen der Unternehmen zu unterschiedlich und der Markt auch viel zu groß: In China gibt es 22 Millionen Unternehmen, davon 7,5 Millionen im produzierenden Gewerbe und 650.000 im IT-relevanten Sektor. Es ist also nicht überraschend, dass die Eindrücke bunt, differenziert, ja in Teilen sogar widersprüchlich sind. Einerseits ist die chinesische Regierung, was Innovationen angeht, sehr ambitioniert. Sie hat sich zum Beispiel folgendes Ziel gesetzt: Das Investment in Forschung und Entwicklung soll bis 2020 2,5% des Bruttoinlandsprodukts betragen, womit China sich direkt hinter den USA positionieren würde.

Auf der anderen Seite sind chinesische Unternehmer, vor allem aus den traditionellen Branchen, meiner Erfahrung nach in der Mehrheit Pragmatiker. Einem durchschnittlichen Maschinenbauer oder Textilproduzenten geht es selten darum, etwas radikal Neues zu schaffen. Er setzt vielmehr auf die punktuelle und schrittweise Verbesserung seiner Produkte, Prozesse und vor allem Kostenstrukturen. Meist fehlen ihm auch die finanziellen Mittel, Erfahrungen und Geduld für aufwändige Forschung und Entwicklung.

Unter Innovation im Sinne von Disruption, also dem gewagten großen Schritt nach vorne, versteht man eher den Erwerb moderner Maschinen internationaler Anbieter. In vielen produzierenden Unternehmen hat die einfache Verarbeitung inzwischen zwar der komplexeren Produktion Platz gemacht, oft gehören Schlüsseltechnologien und Know-How aber noch ausländischen Unternehmen.

Hinzu kommt, dass eine Feedback-Kultur, wie man sie in vielen westlichen Unternehmen kennt, traditionell eher nicht vorhanden ist, da die chinesische Kultur sehr hierarchieorientiert ist. Vor allem staatsnahe und quasi monopolistische Unternehmen sind selten offen für Selbstkritik und durchlässig für Neues. Damit haben es auch Innovatoren innerhalb dieser Organisationen schwerer. Diese kulturelle Altlast steht auch der notwendigen Restrukturierung vieler dieser Unternehmen im Weg.

Neugierig, motiviert und ehrgeizig.

Erfreulicherweise gibt es gegenläufige Tendenzen: In jüngeren chinesischen Unternehmen aus den IT-, Digital- oder Consumer Electronics-Branchen herrscht extreme Offenheit. Die globalen Platzhirsche aus dem Silicon Valley wie Google, Apple und Facebook sind die großen Vorbilder, was den ökonomischen Erfolg sowie eine Kultur der flachen Hierarchien, der Schnelligkeit und des Wettbewerbs der besten Ideen anbelangt. Dafür stehen auch charismatische Gründer und Visionäre wie Lei Jun, Chef des Consumer Electronics-Konzerns Xiaomi, oder auch Frank Wang, Gründer von DJI, dem Weltmarktführer in der Herstellung zivil eingesetzter Drohnen – um nur zwei zu nennen.

Auf die jüngere Generation der Studenten, Unternehmer, Wissenschaftler und Manager üben diese Entwicklungen eine große Faszination aus. Ich erlebe das in meinen Vorlesungen. Die 20- bis 30-Jährigen sind sehr neugierig, motiviert und ehrgeizig. In vielen Bereichen orientieren sie sich an der Weltspitze. Ein Gradmesser dafür: Der Anteil der chinesischen Autoren an den weltweit veröffentlichten wissenschaftlichen Publikationen steigt. Inzwischen haben chinesische wissenschaftliche Beiträge Deutschland vom zweiten Platz im „Nature Index“, einem Qualitätssiegel für Forschungsoutput, verdrängt. Exzellente Leistungen in der Forschung sind also keine Seltenheit. Der kommerzielle Erfolg, ein wesentliches Merkmal erfolgreicher Innovationen, stellt aber nach wie vor eine Herausforderung dar.

Pragmatisch, quick und – ein bisschen – dirty.

Der Pragmatismus der chinesischen Unternehmer zeigt sich auch bei chinesischen Start-Ups im möglichst raschen Austesten von marktfähigen Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen. Chinesische Unternehmen sind oft sehr gut darin, schnell horizontal zu expandieren. Der Mobility-Service-Anbieter Didi zum Beispiel orientierte sich anfangs sehr stark am US-Vorbild Uber.

Die chinesische Firma expandierte jedoch – anders als Uber – in kürzester Zeit in die Breite, um Kunden zu gewinnen: Über das Portal lassen sich inzwischen normale Taxis, Chauffeure, ein Limousinen-Service oder auch Mitfahrgelegenheiten anfordern. Didi ging pragmatisch vor, gemäß dem Credo: „Die Kunden wünschen es? Dann bieten wir es an – und zwar so schnell wie möglich, bevor es ein anderes Unternehmen macht. Um die Details kümmern wir uns später“. Geschäftsmodellinnovation und schnelle Trial-and-Error-Zyklen sind die Steckenpferde vieler erfolgreicher chinesischer Start-Ups. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Didi hat im August dieses Jahres Uber China übernommen.

Dazu passt, dass die chinesischen Konsumenten recht risikofreudig sind und neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle schnell akzeptieren. Das verschafft jüngeren, flinken Unternehmen wie Didi zügig eine beachtliche Masse an Nutzern und eine entsprechende Marktmacht. Die Kehrseite ist die wenig ausgeprägte Loyalität der Kunden. So schnell wie sie etwas Neues gut finden, so schnell wechseln sie bei der nächstbesten Gelegenheit auch wieder das Pferd.

Widerspruch und Zauber liegen nah beieinander.

Das macht den chinesischen Markt schnelllebig, was sich bei anspruchsvollen Technologien mitunter rächt. Dort mangelt es an Know-how und Detailverliebtheit, um eine Technologie zur Blüte zu bringen. Ein gutes Beispiel ist das Elektroauto: Obwohl es von der chinesischen Regierung massiv gefördert und protegiert wird und China gemessen am Verkaufsvolumen bereits der größte Markt für „New Energy Vehicles“ ist, gibt es noch kein weltmarktfähiges chinesisches Serienmodell à la Tesla oder den i-Modellen von BMW.

Kürzlich fuhr ich mit einem Taxi, ein – gemessen an den Verkaufszahlen – recht erfolgreiches Modell des chinesischen Elektroauto-Herstellers BYD. Ich fragte den Fahrer, wie ihm der Wagen gefalle. Der Mann winkte ab: Allerlei Kinderkrankheiten gebe es, verlässlich sei das Auto nicht, BYD müsse noch viel dazu lernen. Ein paar Tage später las ich in der Fachpresse, dass das chinesisch-amerikanische Start Up NextEV, gegründet in 2014, mit seinem NIO EP9, einem elektrisch angetriebenen Supersportwagen, einen neuen Rekord in der Nordschleife des Nürburgring für E-Fahrzeuge aufgestellt hat. Ein Serienprodukt der Firma NextEV soll 2018 in China in den Handel kommen.

Die Taxi-Anekdote einerseits und die Nachricht von der Rekordfahrt andererseits verleihen „Innovation made in China“ einen einzigartigen Charme: Widerspruch und Zauber liegen nah beieinander. Mein persönlicher Wunsch angesichts dieser Eindrücke lautet, dass chinesische Unternehmen Innovation weniger als Sprint, sondern vielmehr als Marathon sehen sollten.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf Transformation Beats, dem Online Magazin von goetzpartners erschienen. Sie finden den Originalbeitrag hier.

Zur Person:

Prof. Dr. Zheng Han

 

Professor Dr. Zheng Han ist goetzpartners-Chair Professor für Innovation und Entrepreneurship am Chinesisch-Deutschen Hochschulkolleg für Postgraduiertenstudien der Tongji Universität in Shanghai. Zudem ist er Gastprofessor und Senior Research Fellow am Asia Research Center der Universität St. Gallen, Schweiz.