Die deutsche Hauptversammlung

Aus E-Mag M&A China/Deutschland 2013

Andere Länder – andere Sitten. Dieses sowohl in China als auch in Deutschland bekannte Sprichwort trifft auf viele Lebensbereiche der beiden Länder zu. Bei allem gegenseitigen Verständnis und Kennen der Kapitalmarktkultur der beiden Länder sind viele chinesische Geschäftsleute von den Rechtsgrundlagen und dem Ablauf einer deutschen Hauptversammlung sehr überrascht. 

Durch die lange Aktionärskultur in Deutschland, welche sich durch die sogenannten „Volksaktien“ wie Volkswagen, Bayer oder BASF entwickelt hat, unterscheidet sich die deutsche Hauptversammlung signifikant von anderen europäischen Ländern wie auch von den USA. Sofern Aktionäre, aber auch das Management der Aktiengesellschaft mit den formalen Vorschriften und möglichen Ablaufszenarien nicht vertraut sind, können wichtige Entscheidungen für die Gesellschaft über Jahre hinaus blockiert werden. Man kann den Stakeholdern einer deutschen börsennotierten Aktiengesellschaft nur raten, sich frühzeitig zu diesen Themen zu informieren.

Anmeldung

Jeder Aktionär, der an der Hauptversammlung teilnehmen und seine Aktionärsrechte ausüben möchte, muss sich unter Nachweis seiner Aktionärseigenschaft bis in der Regel eine Woche vor der Hauptversammlung angemeldet haben. Diese Anforderung gilt auch für Großaktionäre sowie Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder. Bei der Anmeldung sollte sehr genau auf einen formal korrekten Ablauf geachtet werden, da es in Deutschland Aktionäre gibt, die die Voraussetzungen zur Ausübung der Stimmrechte penibel überprüfen und bei Unstimmigkeiten die betroffenen Stimmen nicht an der Hauptversammlung teilnehmen können. Sind von einem derartigen Ausschluss Aktien eines Großaktionärs betroffen, können Minderheitsaktionäre Hauptversammlungsbeschlüsse gegen den Willen des Großaktionärs durchsetzen. Die Formalien für die Anmeldung zur Hauptversammlung finden sich in der Satzung der Gesellschaft.

Ablauf der Hauptversammlung

Vor Beginn der Hauptversammlung müssen sich die Aktionäre registrieren. Nach der Registrierung wird der Aktionär bzw. sein Vertreter in das sogenannte Teilnehmerverzeichnis aufgenommen. Dies ist Voraussetzung, um im weiteren Verlauf der Hauptversammlung reden und Fragen stellen sowie letztlich auch abstimmen zu dürfen.

Zu Beginn der Versammlung wird der Versammlungsleiter (meist der Aufsichtsratsvorsitzende) einige Formalien zum weiteren Ablauf der Hauptversammlung vortragen. Handelt es sich um eine ordentliche Hauptversammlung (die einmal im Jahr innerhalb von acht Monaten nach Beendigung des Geschäftsjahres stattfinden muss), hat der Vorstand den Aktionären den Jahresabschluss des letzten Geschäftsjahres vorzutragen. Dabei geht er auf wichtige Ereignisse und den allgemeinen Geschäftsverlauf ein und gibt einen Ausblick auf das bereits laufende Geschäftsjahr. Danach haben die Aktionäre die Möglichkeit, Fragen an Vorstand und Aufsichtsrat zu stellen. Das gilt ohne Beschränkung für jeden Aktionär mit mindestens einer Aktie. Vorstand und Aufsichtsrat müssen diese Fragen beantworten, sonst kann jeder Aktionär die Antwort auf die Frage bei Gericht einklagen oder gar die Hauptversammlung für nichtig erklären lassen.

Nachdem Vorstand und Aufsichtsrat alle Fragen beantwortet haben und alle Aktionäre auf der Hauptversammlung zustimmten, dass alle Fragen beantwortet sind, kann mit den Abstimmungen angefangen werden. Üblicherweise wird mit Stimmkarten abgestimmt, die der Aktionär bei der Registrierung im Austausch zu seiner Eintrittskarte erhalten hat und die mit Hilfe einer EDV-Anlage rasch und sicher ausgewertet werden können. Bevor der Versammlungsleiter die Hauptversammlung schließen kann, hat er die Abstimmungsergebnisse zu verlesen.

Ein Notar muss die Geschehnisse auf der Hauptversammlung protokollieren und darüber ein Protokoll verfassen, welches dann veröffentlicht wird. Die Hauptversammlung muss bis 24 Uhr vollständig beendet sein, sonst sind alle Beschlüsse nichtig und die Versammlung ist zu wiederholen.

Störungen der Hauptversammlung

Insbesondere bei Hauptversammlungen, in denen unterschiedliche Aktionärsinteressen aufeinandertreffen, versuchen immer wieder kritische Aktionäre die Hauptversammlung bewusst zu stören und Fehler zu provozieren, die später bei Gericht eine Nichtigkeit der Hauptversammlungsbeschlüsse zur Folge haben können.

Wird der Ton der Hauptversammlung z.B. nicht auf die Toiletten und Waschräume übertragen, so kann dies bei bestimmten Voraussetzungen alle Beschlüsse der Versammlung im Nachhinein ungültig machen. Eine andere oft beobachtete Störung ist es, dass eine kleine Gruppe von Aktionären im Rahmen der Generaldebatte solange redet und so viele Fragen stellt, dass die Hauptversammlung nicht bis Mitternacht beendet werden kann. In solchen Fällen muss die Hauptversammlung wiederholt werden. Eine weitere Möglichkeit, die Hauptversammlung zu verzögern, besteht darin, Anträge zur Geschäftsordnung zu stellen. Dies kann z.B. ein Antrag auf Abwahl des Versammlungsleiters sein oder der Antrag, über die Entlastung der Mitglieder des Vorstands und/oder des Aufsichtsrats getrennt (Einzelentlastung) und nicht im Block abstimmen zu lassen.

Betreffen derartige Anträge nur den Ablauf der Hauptversammlung, kann ein Antrag auf Sonderprüfung eines bestimmten Geschäftsvorfalls weit über den Tag der Versammlung Auswirkungen haben. Ist der Antrag auf Sonderprüfung geschickt formuliert, so sind die Aktien von Großaktionären und/oder Vorstand und Aufsichtsrat nicht stimmberechtigt. Beschließt die Hauptversammlung eine Sonderprüfung, so kann ein externer Wirtschaftsprüfer die bestimmten Geschäftsvorfälle untersuchen und erstellt über das Ergebnis einen Prüfungsbericht, den die Aktionäre einsehen dürfen.

Über jeden Antrag dürfen die Aktionäre diskutieren und es ist ebenfalls über diese Anträge abzustimmen. Besonders erwähnenswert ist, dass jeder Aktionär – selbst mit nur einer Aktie – solche Anträge ad-hoc in der Hauptversammlung stellen darf.

Vorbereitung

Die Möglichkeiten für Aktionäre, eine Hauptversammlung erfolgreich zu stören, werden umso größer, je weniger die Gesellschaft sich im Vorfeld auf die Hauptversammlung vorbereitet hat. Eine gute Vorbereitung beginnt mit der Auswahl eines geeigneten Versammlungsorts und -termins. Auch die Begleitung der Hauptversammlung durch einen praxisnahen Rechtsanwalt mit Hauptversammlungserfahrung ist unabdingbar. Anmeldung, Registrierung und Abstimmungen sollten einem professionellen Hauptversammlungsdienstleiter übertragen werden. Last but not least muss sich der Versammlungsleiter vor der Hauptversammlung mit den möglichen Störungen der Versammlung und den geeigneten Reaktionen darauf beschäftigen.

Eine gute und umfassende Vorbereitung der Hauptversammlung in Kenntnis der „Spezialitäten“ der deutschen Hauptversammlung garantiert schon (fast) den erfolgreichen Abschluss der Versammlung. Oder wie schon ein deutsches Sprichwort weiß: „Gute Vorbereitung ist die halbe Miete.“

 

Zur Person:

Bernhard-OrlikBernhard Orlik ist Geschäftsführer des Hauptversammlungsdienstleisters Haubrok Corporate Events GmbH in München. www.haubrok-ce.de

Bernhard Orlik ist Gastautor.

Dieser Post ist auch verfügbar auf: Vereinfachtes Chinesisch