Europa im Sperrfeuer zwischen USA und China

Old China Hand: Jörg Wuttke ist seit 30 Jahren im Reich der Mitte aktiv.

Die Beziehung zwischen China, den USA und der Europäischen Union steht vor einem Wendepunkt. Vier Jahrzehnte lang hat das Riesenreich von den offenen Märkten und freien Investitionsflüssen aus dem Westen profitiert, ohne seine eigene Wirtschaft vollständig zu öffnen. Doch Präsident Trump hat jetzt China ins Visier genommen. Handelsbarrieren werden hochgezogen und verheißen nichts Gutes für die Entwicklung der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Und neue, noch einschneidendere Maßnahmen sind schon in der Planung. Dies berichtete Jörg Wuttke, Vorsitzender des OECD-Wirtschaftsberatungsgremiums für China auf dem sechsten Corporate M&A-Kongress in Frankfurt.

Rund 400 M&A-Experten aus Unternehmen und Beratungsgesellschaftenen hatten sich zum jährlichen Branchentreffen in der Villa Kennedy in Frankfurt versammelt. In verschiedenen Panels und persönlichen Gesprächen tauschten sie sich zu den aktuellen Entwicklungen im Übernahmemarkt aus. Die Keynote hielt Jörg Wuttke. Chinakennern muss er nicht länger vorgestellt werden. Er lebt seit rund 30 Jahren im Reich der Mitte, vertrat dort die Belange des deutschen Chemieriesen BASF und war bis vor Kurzem Präsident der EU-Handelskammer in China. Jetzt fungiert er für die OECD als oberster Berater zu Fragen der chinesischen Wirtschaft.

Luft nach oben

Für Wuttke ist das Potenzial Chinas noch lange nicht ausgeschöpft. Nach vierzig Jahren Öffnungspolitik hat China beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf derzeit erst den Stand Japans in den sechziger oder Koreas in den siebziger Jahren erreicht. Es gibt also noch viel Luft nach oben. Als entscheidende Erfolgsfaktoren identifizierte er neben der Landreform, dem großen Reservoir von zeitweise bis zu 200 Mio. Wanderarbeitern, den Unternehmergeist der Chinesen und die Reformpolitik der Partei.

Verunsicherte Bürokratie

Doch in der Machtkonzentration der Partei, die unter Staatspräsident Xi Jinping ein neues Maß an Kontrolle über alle Teile der Wirtschaft und Gesellschaft erreicht, sieht Wuttke auch ein wesentliches Problem. Zwar hat Xi durch seine Antikorruptionskampagne auf der einen Seite Auswüchse der chinesischen Bürokratie zurückgestutzt. Gleichzeitig aber sorgt der aktuelle Umbau der staatlichen Strukturen, die auf eine höhere Kontrolle durch die Partei hinauslaufen, für Verunsicherung unter den Beamten. Die Reform des Verwaltungsapparats werde in den nächsten zwei Jahren für Unsicherheit bei den bürokratischen Prozessen sorgen, schätzt Wuttke. Davon können dann beispielsweise auch Genehmigungsverfahren von ausländischen Investoren betroffen sein.

Selbstbewusstsein wächst, Schuldenstand auch

Gleichzeitig ist das Selbstbewusstsein der chinesischen Regierung gewachsen. Ausgangspunkt war die Finanzkrise 2008. Seitdem habe Europa an Strahlkraft in China verloren, meint der OECD-Berater. Umgekehrt fühlt sich China jetzt berufen, sein Gesellschaftsmodell der Welt als Vorbild zu präsentieren. Denn dem Reich der Mitte gelang es in der Krise, seine Wachstumsstory fortzusetzen und somit wesentlich zur Stabilisierung der Weltwirtschaft beizutragen. Doch Wuttke warnt auch, dass die gute Performance der chinesischen Volkswirtschaft mit Schulden erkauft wurde. Der Schuldenstand von 200% des Bruttoinlandsprodukts gibt ihm Anlass zur Sorge.

Zwei Wendepunkte

Wuttke sieht zwei Wendepunkte im Verhältnis Europas zu Chinas Investitionen. Der erste ist der Entwicklungsplan „Made in China 2025“. Mit diesem Leitfaden strebt das Land eine weltweit führende Marktposition in zehn Zukunftsbranchen an, darunter Automatisierung, Medizintechnik und Biotechnologie. Der zweite Wendepunkt ist die Übernahme des Augsburger Robotikspezialisten Kuka durch Midea. Seitdem werden hierzulande vermehrt Rufe nach Reziprozität im Marktzugang zwischen chinesischen und deutschen Unternehmen laut – das viel beschworene „Level Playing Field“.

Drohungen und strategische Chancen

In den USA versucht die Trump-Administration längst Tatsachen zu schaffen. Im Zentrum der Bemühungen steht dabei der Paragraph 301 des Trade Act, der Sanktionen für Staaten vorsieht, die US-Unternehmen keinen fairen Marktzugang bieten. Der Chinaexperte erwartet für die kommenden Monate eine massive Ausweitung der Drohkulisse: Die Sanktionen könnten nicht nur chinesische Investitionen in den Vereinigten Staaten sondern auch das Engagement amerikanischer Unternehmen im Reich der Mitte umfassen. Ebenso könnten Joint-Venture-Projekte betroffen sein. Vor allem aber bereiteten laut Wuttke die US-Regierung Pläne vor, die chinesischen Zukunftsbranchen zu sanktionieren: Fahrzeuge mit alternativen Antrieb oder auch Produkte aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz. Für Deutschland und Europa heißt dies, sich strategisch neu aufzustellen. Angesichts des amerikanischen Drucks böte sich womöglich sogar die Gelegenheit, mit China ein Freihandelsabkommen abzuschließen.