Prüfung ausländischer Direktinvestitionen in Deutschland

Labyrinth für Investoren: Chinesische Unternehmenskäufer müssen neue gesetzliche Vorgaben beachten. 投资者的迷宫:中国收购方必须重视新的法律规定。Bildquelle: Adobe Stock; © bluedesign

Der sächsische Flugzeugzulieferer Cotesa darf von einer chinesischen Investorengruppe um den Pekinger High-Tech-Konzern Advanced Technology & Materials (AT&M) übernommen werden. Dies ist möglich, nachdem das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) am 16. April 2018 formell bescheinigt hat, dass dem Erwerb „keine Bedenken im Hinblick auf die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland entgegen“ stehen.

Der Entscheidung des BMWi war eine monatelange Hängepartie vorausgegangen. Die Parteien hatten sich bereits im September 2017 auf die Transaktion geeinigt. Wenig später erteilte auch das Bundeskartellamt in Bonn die notwendige kartellrechtliche Freigabe. Aufgehalten wurde der Vollzug der Transaktion dann allerdings durch das Wirtschaftsministerium. Cotesa stellt hochwertige Faserverbundbauteile her, die unter anderem von Airbus und Boeing im Flugzeugbau verwendet werden. Diese Verbindungen zur Luftfahrtindustrie gaben offenbar Anlass zur Sorge, die neuen Eigentümer könnten sensibles Knowhow von Cotesa abziehen und dem chinesischen Staat zur Verfügung stellen. Daraufhin eröffnete das Ministerium im November 2017 das Prüfverfahren, um die Vereinbarkeit des Erwerbs mit dem deutschen Außenwirtschaftsrecht zu untersuchen.

Beteiligungen an deutschen Unternehmen durch Investoren aus der Volksrepublik China haben derzeit Konjunktur. Allein für das Jahr 2017 ist das Volumen der chinesischen Investitionen in Deutschland auf gut 14 Mrd. USD geschätzt worden, eine gewaltige Zunahme gegenüber einem Wert von 530 Mio. USD für 2015 (s. Tabelle „Ausgewählte chinesische Investitionen in Deutschland“).

Ausgewählte chinesische Investitionen in Deutschland

Transaktion Branche Ausgang
Übernahme der Kuka AG durch Midea (2016) Roboter Vollzug (ohne US-Geschäft)
Versuch der Übernahme der Aixtron SE durch Fujian Grand Chip Investment Fund (2016) Chipanlagen Aufgabe (nach US-Veto)
Übernahme der Ledvance GmbH (Ausgliederung der Osram Licht AG) durch ein Investorenkonsortium um MLS (2017) Lichtprodukte Vollzug
Versuch des Erwerbs einer Beteiligung von 20% an der 50Hertz Transmission GmbH durch SGCC – State Grid Corporation of China (2018) Betrieb von Stromnetzen Aufgabe
Erwerb einer Beteiligung von 10% an der Daimler AG durch Geely (2018) Automobilindustrie keine Prüfung

Einige chinesische Investitionen haben für Schlagzeilen gesorgt und die Befürchtung befeuert, China wolle sich durch strategische Firmenkäufe Zugriff auf deutsche Schlüsseltechnologie verschaffen. Ein Beispiel hierfür ist die umstrittene Übernahme des Roboterbauers Kuka durch den chinesischen Konzern Midea im Jahr 2016. Laut Presseberichten äußerte das BMWi damals zwar Bedenken gegen die Übernahme, intervenierte jedoch letztlich nicht. Widerstand kam stattdessen aus den USA, wo der Fall von dem Committee on Foreign Investment in the United States (CFIUS) geprüft wurde. Die Amerikaner waren alarmiert, weil die amerikanische Tochtergesellschaft von Kuka Fertigungsstraßen zum Bau des Rumpfes des US-Kampfjets F-35 lieferte. CFIUS sah das Risiko, dass vertrauliche Informationen via Kuka nach China durchsickern könnten. Das US-Geschäft musste daraufhin abgetrennt werden, um den Weg für die Übernahme von Kuka durch Midea freizumachen.

Die Übernahme von Kuka war für die Bundesregierung Anlass, die außenwirtschaftsrechtliche Investitionsprüfung zu verschärfen, um insbesondere chinesische Investitionen in Deutschland künftig stärker in den Fokus nehmen zu können. Im Juli 2017 verabschiedete sie die 9. Novelle der Außenwirtschaftsverordnung (AWV), die vor allem längere Prüffristen und neue Meldepflichten zur Folge hat. Dabei liegt der Fokus auf Investitionen in Unternehmen in einigen besonders sensiblen Schlüsseltechnologien. Die Änderungen sind jedoch nicht auf bestimmte Wirtschaftsbereiche beschränkt, sondern gelten branchenübergreifend.

Hintergrund: Zwei unterschiedliche Verfahren der Investitionsprüfung

In Deutschland gibt es zwei Verfahren zur Prüfung von Unternehmenserwerben durch Ausländer: (1) die sektorspezifische Prüfung, die auf einige besonders sensible Wirtschaftsbereiche (insbesondere aus dem Rüstungssektor) beschränkt ist, und (2) die sektorübergreifende Prüfung, die ohne eine derartige Branchenbeschränkung gilt. Jährlich prüft das BMWi in Summe etwa 40 bis 50 Transaktionen in beiden Verfahren, wobei die Zahl dem Vernehmen nach seit der Verschärfung durch die 9. AWV-Novelle leicht zugenommen hat.

In beiden Verfahren ist Gegenstand der Prüfung der Erwerb einer Beteiligung an einem deutschen Unternehmen mit einem Stimmrechtsanteil von 25% oder mehr. Beteiligungen unterhalb dieser Schwelle können nicht geprüft werden. Aus diesem Grund unterfielen die kürzlich bekannt gewordenen Beteiligungen bzw. Beteiligungsversuche chinesischer Unternehmen an Daimler (10%) und an dem Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz (20%) nicht der außenwirtschaftsrechtlichen Prüfung. Im BMWi wird laut Presseberichten bereits über eine Herabsenkung der Anteilsschwelle nachgedacht, um künftig auch derartige Fälle kontrollieren zu können. Zu beachten ist allerdings, dass dem Erwerber neben den eigenen Anteilen auch Anteile von Anteilseignern zugerechnet werden, an denen der Erwerber einen Stimmrechtsanteil von mindestens 25% hält oder mit denen der Erwerber eine Vereinbarung über die gemeinsame Stimmrechtsausübung abgeschlossen hat.

Die sektorspezifische Prüfung findet auf jeden Erwerb Anwendung, bei dem der Erwerber nicht aus Deutschland stammt, also auch bei Erwerbern aus anderen Mitgliedstaaten der EU. Die sektorübergreifende Prüfung ist demgegenüber auf Investoren aus Ländern beschränkt, die nicht zur EU oder zur Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) gehören. In beiden Fällen werden allerdings auch mittelbare Erwerbsvorgänge erfasst, d.h. Erwerbsvorgänge, bei denen einem Ausländer die Stimmrechte des unmittelbaren Erwerbers zuzurechnen sind. Beispielsweise kann die Beteiligung an einem deutschen Unternehmen durch eine deutsche GmbH der Investitionsprüfung unterliegen, wenn an der GmbH ein nichteuropäisches Unternehmen mit 25% der Stimmrechte beteiligt ist.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Verfahren ist, dass die sektorspezifische Prüfung ein zwingendes Verfahren ist. Der Erwerb muss dem BMWi gemeldet werden und wird erst rechtlich wirksam, wenn er vom Ministerium schriftlich freigegeben oder nicht innerhalb der Prüfungsfristen untersagt wird. Die sektorübergreifende Prüfung ist im Gegensatz dazu im Regelfall „freiwillig“. Solange es sich bei dem deutschen Unternehmen, an dem die Beteiligung erworben wird, nicht um ein Unternehmen aus einer der in der AWV aufgezählten Schlüsselbranchen handelt (kritische Infrastrukturen, Telekommunikationsüberwachung, Cloud-Computing, Telematikinfrastruktur), muss der Erwerb dem BMWi nicht gemeldet werden. Das BMWi kann das Verfahren vielmehr innerhalb einer Frist von fünf Jahren von Amts wegen einleiten, wenn es von der Transaktion erfährt. Kommt es dann zur Untersagung, hat dies zur Folge, dass das Rechtsgeschäft nachträglich unwirksam wird und rückabgewickelt werden muss. In der Praxis werden die Transaktionen wegen der Unsicherheit, die aus der nachträglichen Untersagungsmöglichkeit erwächst, vielfach proaktiv dem BMWi gemeldet.

Schließlich unterscheiden sich die beiden Prüfverfahren auch hinsichtlich der Maßstäbe für eine Intervention: Im Fall der sektorübergreifenden Prüfung kann eine Untersagung ausgesprochen oder es können Anordnungen erlassen werden, „um die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten“. Bei der sektorspezifischen Prüfung geht es um „wesentliche Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland“, was der Exekutive einen noch weiteren Raum für Interventionen lässt.

Längere Verfahren

Eine der praktisch wichtigsten Konsequenzen der 9. AWV-Novelle sind die längeren Prüffristen, was die sektorspezifische wie auch die sektorübergreifende Prüfung betrifft:

Für die sektorspezifische Prüfung gilt ein zweistufiges Verfahren: Ab der Meldung des Erwerbs muss das BMWi in einer ersten Phase entscheiden, ob es den Erwerb freigibt oder ein (vertieftes) Prüfverfahren einleitet. Im letzteren Fall ist die Verfahrenseinleitung mit der Aufforderung an den Erwerber verbunden, umfangreiche Unterlagen und Informationen über den Erwerb einzureichen. Erst nach Eingang der vollständigen Unterlagen beim BMWi beginnt die zweite Phase der Prüfung, die mit der Freigabe, der Untersagung oder dem Erlass von Anordnungen (oder durch Fristablauf) enden kann. Die Frist für die beiden Phasen wurde durch die 9. AWV-Novelle von jeweils einem Monat auf jeweils drei Monate verlängert. Die Gesamtdauer des Verfahrens kann somit (unter Berücksichtigung der Zeit für das Zusammenstellen der erforderlichen Unterlagen) mehr als ein halbes Jahr betragen. Hinzu kommt, dass die Frist für die zweite Phase gehemmt ist, wenn und solange das BMWi mit den Beteiligten Verhandlungen über vertragliche Zusagen zur Abwendung einer Untersagung führt.

Die sektorübergreifende Prüfung ist ähnlich aufgebaut: In einer ersten Phase entscheidet das BMWi, ob es ein Prüfverfahren einleitet. Tut es das, muss der Erwerber wiederum Unterlagen über den Erwerb vorlegen, und das BMWi entscheidet in einer zweiten Phase über die Freigabe, die Untersagung oder den Erlass von Anordnungen. Alternativ dazu kann der Erwerber schon im Vorfeld einen Antrag auf Feststellung der Unbedenklichkeit der Transaktion stellen. Das BMWi kann dann entweder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen oder in das Prüfverfahren (zweite Phase) übergehen. Die Fristen betrugen bis zur 9. AWV-Novelle drei Monate bzw. zwei Monate für die erste und die zweite Phase sowie einen Monat für die Unbedenklichkeitsbescheinigung. Jetzt liegen die Fristen bei drei Monaten, vier Monaten bzw. zwei Monaten. Von herausragender Bedeutung ist darüber hinaus, dass die 9. AWV-Novelle den Beginn der ersten Frist neu festsetzt: Früher konnte das BMWi über die Einleitung des Prüfverfahrens nur innerhalb von drei Monaten ab dem Tag entscheiden, an dem der schuldrechtliche Vertrag über den Beteiligungserwerb abgeschlossen oder ein öffentliches Übernahmeangebot veröffentlicht wurde. Wenn das BMWi von einem Unternehmenserwerb nicht auf diese Weise erfuhr, konnte es auch nicht intervenieren. Nunmehr kommt es stattdessen auf den Tag an, an dem das BMWi Kenntnis von dem Vorgang erhält. „Heimliche“ Deals können damit, wenn sie später bekanntwerden, aufgegriffen werden. Erst fünf Jahre nach dem Abschluss des schuldrechtlichen Vertrags erlischt das Prüfrecht des BMWi endgültig.

Wie das Verfahren um den Erwerb von Cotesa veranschaulicht, kann das BMWi die verlängerten Fristen auch bei einem letztlich unbedenklichen Erwerb durchaus ausschöpfen, wenn dies zur Entscheidungsfindung notwendig ist. Dabei spielt eine Rolle, dass das BMWi das Verfahren nicht alleine führt; für eine Untersagung oder den Erlass von Anordnungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist die Zustimmung der gesamten Bundesregierung notwendig. Das BMWi agiert deshalb in enger Abstimmung mit weiteren Ressorts wie z.B. Verteidigungsministerium, Außenministerium oder Bundeskanzleramt. Die internen Abstimmungsprozesse können aufwändig sein und zeitliche Verzögerungen nach sich ziehen. Problematisch für die beteiligten Unternehmen ist, dass ihnen etwaige Bedenken in der Regel nur und erst bekannt gemacht werden, wenn eine Untersagung oder der Erlass von Anordnungen bevorsteht. Bis zu einer etwaigen Anhörung gestaltet sich das Verfahren für sie vergleichsweise intransparent und wenig planbar.

Ausblick

Die 9. AWV-Novelle hat die Transaktionssicherheit für ausländische Direktinvestitionen in Deutschland spürbar verringert. Insbesondere bei Transaktionen unter Beteiligung chinesischer Investoren müssen die Beteiligten mehr Zeit zwischen dem Abschluss des Vertrags und seinem Vollzug einplanen, um den Risiken einer Investitionsprüfung Rechnung zu tragen. Dies gilt nicht nur für Investitionen in den im AWV aufgezählten Schlüsselbranchen (kritische Infrastrukturen, Telekommunikationsüberwachung, Cloud-Computing, Telematikinfrastruktur), sondern auch für alle sonstigen Wirtschaftsbereiche, die als politisch „kritisch“ angesehen werden könnten, wie zum Beispiel im Falle von Cotesa eine Verbindung zur Luftfahrtindustrie. Die beteiligten Unternehmen und ihre Berater können sich hierauf durch eine sorgsame Vorbereitung der Prozesse einstellen. Neben den notwendigen Regelungen in den M&A-Verträgen kann dazu gehören, dass die bei Einleitung der Prüfverfahren notwendigen Unterlagen schon vorab zusammengestellt und, soweit notwendig, ins Deutsche übersetzt werden.

 

Zur Person

Dr. Till Steinvorth, Partner bei der Kanzlei Orrick, Herrington & Sutcliffe, LLP in Düsseldorf, ist spezialisiert auf deutsches und europäisches Kartellrecht. Er verfügt über umfangreiche Erfahrungen in der Fusionskontrolle und in Kartellbußgeldverfahren und vertritt Mandanten regelmäßig vor dem Bundeskartellamt und der Europäischen Kommission. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Arbeit liegt im Außenwirtschaftsrecht, insbesondere bei der Prüfung von Investitionsvorhaben nach der Außenwirtschaftsverordnung.

www.orrick.com

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