Chinas langer Marsch an die Weltspitze

Chinas wirtschaftlicher Aufstieg erscheint unaufhaltsam. Das weckt im Westen viele Ängste. Doch die Strategien im Umgang mit China sind sehr verschieden. Wie kann man am besten mit dem Reich der Mitte umgehen, und welche Strategie verfolgt Peking?

Gewinner der Globalisierung
China gehört zu den Hauptprofiteuren der Globalisierung. In den vergangenen zwölf Jahren hat sich Chinas Außenhandel mehr als verzehnfacht. 2017 exportierte China Waren im Wert von 2,1 Bio. USD und lag damit auf dem ersten Platz weltweit. China ist nach den USA die größte Volkswirtschaft der Welt, gerechnet nach Kaufkraftparität hat China die USA bereits 2016 als größte Wirtschaftsnation abgelöst. Unvorstellbar erscheint heutzutage, dass noch Anfang der 1960er-Jahre Millionen Menschen in China verhungerten.

China geht bei der Absicherung seiner wirtschaftlichen Expansion sehr gezielt vor. Die neue Seidenstraße, die in der deutschen Presse viel Beachtung gefunden hat, wird im Chinas ökonomische Vormachtstellung im eurasischen Raum langfristig sichern. Allerdings ist das Projekt von einigen politischen Unsicherheiten begleitet. Verschiedene Transitländer der Seidenstraße wie Pakistan, der Iran oder die Staaten Zentralasiens sind politisch nicht stabil. Mit dem Programm China 2025 will Peking die Modernisierung des Landes im Hightechsektor vorantreiben. Seit einiger Zeit schweigen die Staatsmedien aber über dieses Projekt – möglicherweise, um Ängste im Westen zu zerstreuen.

Chinesisches Banking
Weit weniger als die neue Seidenstraße wurde in der deutschen Öffentlichkeit die Gründung der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) beachtet. Dabei spielt diese eine entscheidende Rolle bei der Förderung der chinesischen Exportaktivitäten weltweit. Die AIIB wurde auf Initiative Chinas gegründet, um ein Gegengewicht zu dem von den USA dominierten Internationalen Währungsfonds und der Weltbank zu schaffen. 57 Länder haben sich an der Gründung der AIIB beteiligt, darunter auch Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien. Die AIIB finanziert Infrastrukturprojekte in ganz Asien.

Vor der Gründung der AIIB hatte China versucht, die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds zu reformieren. China wollte den Schwellenländern mehr Einfluss verschaffen, wobei natürlich nicht zuletzt China selbst davon profitiert hätte. Der Widerstand aus den USA gegen diese Änderungen hatte bei der chinesischen Führung zur Auffassung geführt, dass es zur Durchsetzung chinesischer Interessen notwendig sei, mitunter ohne oder sogar gegen Washington zu handeln.

Chinas Vormarsch in Afrika
Auch bei seinen Investitionen in Afrika und Lateinamerika geht China sehr planmäßig vor. In den afrikanischen Ländern ist China bereits jetzt der wichtigste ausländische Investor. Die chinesischen Investitionen sind größer als die der drei ehemaligen Kolonialmächte Frankreich, England und Deutschland zusammen. Bei dem Engagement Chinas in Afrika überwiegt das Interesse an Rohstoffen. Sehr aktiv ist China bei Infrastrukturprojekten wie dem Straßenbau. Vielen afrikanischen Staatschefs gelten die Chinesen als besonders attraktiver Partner, da sie weniger strenge Anforderungen an die Erfüllung von Menschenrechts- und Umweltstandards stellen als die Europäer. Auch für wichtige lateinamerikanische Staaten wie Brasilien und Argentinien ist China seit einigen Jahren als Handelspartner bedeutender als die USA. Dass China nun auch in Lateinamerika, mitunter als „Hinterhof“ der USA bezeichnet, wirtschaftlich so expandiert, hat in Washington die Ängste vor China weiter verstärkt.

Wachsender Einfluss in Osteuropa
In Osteuropa ist China ebenfalls zum führenden internationalen Investor aufgestiegen. Beispielsweise plant China den Ausbau der Schienenstrecke zwischen Belgrad und Budapest. Diese soll Teil eines Verkehrskorridors zwischen Griechenland und Mitteleuropa werden. Dazu passt, dass China auch in Griechenland massiv investiert: So befindet sich der Hafen von Piräus seit 2016 weitgehend unter chinesischer Kontrolle. Der Hafen wird massiv ausgebaut und soll zukünftig Anlaufpunkt für den Transport von Gütern nach Zentraleuropa sein. Piräus gehört nun zu den acht größten Häfen Europas mit einer starken Zunahme beim Containerumschlag.

Serbien und Griechenland, die beide mit wirtschaftlichen Problemen kämpfen, haben die chinesischen Investitionen sehr begrüßt. Die griechische Regierung hat zudem in der EU mehrfach kritische Beschlüsse gegen China verhindert. Zum Beispiel blockierten die Griechen im Sommer 2017 eine Resolution der EU gegen Menschenrechtsverletzungen in China. Auch Ungarn und Tschechien, in die besonders viele chinesische Investitionen fließen, unterstellen einige andere EU-Staaten, einem starken chinesischen Einfluss zu unterliegen. So behauptete die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung 2017 in einer Analyse, dass „China immer größeren Einfluss auf Kernbereiche von Wirtschaft und Infrastruktur Tschechiens“ ausübt. China habe besonders im tschechischen Mediensektor investiert, darunter in Medien, die dem „chinafreundlichen“ tschechischen Präsidenten Miloš Zeman nahestehen.

Russland hat in den letzten Jahren ebenfalls seine Zusammenarbeit mit China intensiviert. Bereits vor einigen Jahren betonte Putin: „Das Wachstum der chinesischen Wirtschaft birgt die Chance, ‚chinesischen Wind‘ in den Segeln unserer Wirtschaft einzufangen.“ Im Energiesektor treiben beide Länder ihre Kooperation immer weiter voran. Mit dem Bau von Pipelines nach China versucht Russland, sich vom europäischen Markt unabhängiger zu machen. Allerdings gibt es in Russland auch Ängste vor einem zu starken China, insbesondere in Hinblick auf den wachsenden ökonomischen Einfluss Chinas in Sibirien.

Widerstände in der EU
In Westeuropa und Deutschland ist der Widerstand gegen die wirtschaftliche Expansion Chinas in den letzten zwei Jahren deutlich gewachsen. So warnte der frühere deutsche Außenminister Sigmar Gabriel 2017 in einer Rede in Paris: „Wenn es uns nicht gelingt, eine eigene Strategie mit Blick auf China zu entwickeln, dann wird es China gelingen, Europa zu spalten.“ Gabriel sah vor allem beim chinesischen Kooperationsabkommen mit 16 Staaten in Ost- und Südosteuropa einen wachsenden chinesischen Einfluss auf Politik und Wirtschaft in Europa.

Auch auf wirtschaftlicher Ebene versucht die EU, den Vormarsch Chinas einzuhegen. So haben neue EU-Richtlinien Ende 2017 China weiter den Status einer Marktwirtschaft verweigert. Dadurch kann die EU Handelsbeschränkungen gegen chinesische Produkte erlassen, die durch Subventionen der Regierung gefördert werden. 2017 führte die EU über 100 „Anti-Dumping-Verfahren“ gegen chinesische Produzenten durch.

Der chinesisch-amerikanische Konflikt
Die Handelsbeschränkungen stehen im Gegensatz zur Politik Deutschlands und der EU, China als einen Verbündeten im Kampf gegen den weltweit stärker werdenden Protektionismus zu sehen. Diese Zusammenarbeit richtet sich besonders gegen die protektionistische Wirtschaftspolitik der US-Regierung. Der chinesische Staatschef, Xi Jinping, unterstrich Anfang 2018, dass „China sich zum globalen Freihandel bekennt“. Insbesondere gegenüber der EU und Deutschland lässt Xi keine Gelegenheit aus, dies zu betonen, und er versucht, sich damit positiv von Trumps America-first-Politik abzuheben.

Schon im Wahlkampf hatte Trump besonders die Handelsdefizite der USA mit China und Deutschland kritisiert. Dabei scheint Trump nicht nur chinesische Exporte in die USA reduzieren zu wollen und „amerikanische Arbeitsplätze zu schützen“. Letztendlich versucht Trump, China auch wirtschaftlich zu schwächen, um so die chinesische Expansion einhegen zu können.

Der Handelsstreit zwischen den USA und China ist im Sommer 2018 mit der Verhängung von Strafzöllen der USA gegen China eskaliert. Im September 2018 wurden die Zölle von der amerikanischen Regierung massiv ausgeweitet. Nun sind chinesische Exporte im Wert von 200 Mrd. USD betroffen. Das ist die knappe Hälfte aller chinesischen Exporte in die USA. Ende 2018 nahmen China und die USA ihre Handelsgespräche jedoch wieder auf.

Die flexible Strategie Pekings
Es ist noch nicht abzusehen, ob die derzeitigen Gespräche eine Abschaffung der Strafzölle bewirken können. Bis zum März haben sich China und die USA eine Pause in ihrem Zollstreit gegönnt, nun verhandeln sie. Auffällig ist, dass China flexibler agiert als die USA. So hatte China die Zölle auf Importautos aus den USA von 15% auf 40% erhöht. Im Dezember 2018 setzte die chinesische Regierung jedoch die Zölle für drei Monate aus. Ebenso setzte China seinen Boykott gegen Sojaimporte aus den USA aus. Auch diese Maßnahme soll offensichtlich für eine bessere Atmosphäre bei den Handelsgesprächen sorgen. Gleichzeitig signalisiert Peking jedoch den USA immer wieder, dass man durchaus zu harten Gegenmaßnahmen bei neuen amerikanischen Sanktionen bereit ist. Die chinesischen Sanktionen waren bisher, anders als die amerikanischen Strafzölle, keine Rundumschläge, sondern sehr gezielt. So traf der Bann gegen amerikanisches Soja die Farmer, die zu den treuesten Wählern Trumps gehören. Für die Farmer war der Einfuhrstopp ein harter Schlag, da China für sie der wichtigste Absatzmarkt weltweit ist.

Peking hat im Handelsstreit einen grundsätzlichen Nachteil: Die chinesischen Exporte in die USA sind wesentlich größer als die amerikanischen nach China. Die chinesische Regierung ist sich dieses Nachteils bewusst und reagiert darauf mit einer flexiblen Strategie. Das gibt China etwas Zeit, andere internationale Exportmärkte zu entwickeln und gleichzeitig den chinesischen Binnenkonsum anzukurbeln, um die fatale Exportabhängigkeit des Landes zu verringern.

Die gestärkte Rolle der Partei
Der Handelskonflikt wird in Peking als Versuch der USA gesehen, China am weiteren Aufstieg zu hindern. Die Führung der Kommunistischen Partei nutzt die Frontstellung der USA dazu, die Bevölkerung gegen den äußeren Feind zu mobilisieren. Es ist vermutlich kein Zufall, dass die Regierung nun härter gegen vermeintliche Kritiker und Oppositionelle vorgeht, beispielsweise in der mehrheitlich muslimischen Provinz Xinjiang.

Letztendlich stärkt Washington mit seiner Blockadepolitik eher die Machthaber in Peking. Zudem wird die selbst verordnete wirtschaftliche Isolation der USA langfristig auch zu einer Belastung für die amerikanische Exportwirtschaft werden. Wer sich dem internationalen Wettbewerb verweigert, verliert im Kampf um Innovationen.

Im Vergleich dazu erscheint die deutsche Position gegenüber China intelligenter und durchdachter: Kooperation und wirtschaftlicher Austausch anstatt Konfrontation. Besonders die deutsche Wirtschaft fordert dies. Der chinesische Markt ist für Deutschland längst zu wichtig, als dass man sich von ihm selbst ausschließen könnte. Wirtschaftliche Zusammenarbeit bedeutet allerdings nicht, dass man China naiv gegenübertritt. Es ist richtig, dass die Messlatte bei chinesischen Investitionen in Deutschland zukünftig niedriger gehängt wird. Das traditionelle Symbol Chinas ist der Drache. Ein Drache kann manchmal durchaus freundlich sein. Aber wer sich zu sorglos in das Maul des Drachen legt, riskiert, verschluckt zu werden.

Mathias von Hofen

Dieser Artikel ist zuerst auf smartinvestor.de erschienen.

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